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KIWANIS-Forum 2020


Kiwanis-Forum Bad Aibling / Text + Fotos: Johannes Mitterer

Kiwanis-Forum macht Mafia in Deutschland zum Thema

Was treibt die italienische Mafia in Deutschland? Zwei internationale Expertinnen, die Journalistin Margherita Bettoni und die Forscherin Zora Hauser, sind zum 3. Kiwanis-Forum in Bad Aibling gekommen, um diese spannende und zugleich ambitionierte Frage zu beantworten.

Es ist ein Thema, das jeder kennt, und doch wissen viele in Deutschland nicht, wie sehr es sie betrifft: Die italienische Mafia. Über 100 Zuhörer waren deshalb in die Schlosswirtschaft Maxlrain gekommen, darunter der CSU-Landtagsabgeordnete Otto Lederer und Sparkassen-Vorstand Alfons Maierthaler sowie einige Polizisten aus der Region. Sie wollten mehr darüber erfahren, wie sehr sich die Mafia in ihrer Lebenswelt ausgebreitet hat. Darüber, welche Geschäfte und Beziehungen sie unterhält. Und was man dagegen tun kann. Kennt doch jeder einen Italiener, bei dem irgendetwas faul ist, oder? Auch dieser vorurteilsbehaftete Reflex sollte im Laufe des Abends noch thematisiert werden.

Zunächst gab Thomas Quiram, Präsident des Kiwanis-Club Bad Aibling-Via Julia, einen Einblick, wozu die Mafia fähig ist. Er erzählte von den Mordanschlägen Anfang der 1990er Jahre in Palermo, mit denen die sizilianische Cosa Nostra Italien terrorisierte. Die Mafia tötete zwei prominente Anti-Mafia-Kämpfer, die Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, mit Autobomben. Zu den Opfern zählten zusätzlich Falcones Ehefrau Francesca Morvillo und einige Leibwächter.


Dann übergab Quiram an zwei Expertinnen, die sich mit der italienischen Mafia, vor allem der kalabrischen ‘Ndrangheta, und deren Ausbreitung in Deutschland aus verschiedenen Perspektiven auseinandersetzen. Margherita Bettoni, 32, hat als Journalistin schon eine Vielzahl an investigativen Recherchen veröffentlicht, unter anderem im Stern, im Spiegel sowie im Rahmen des Buches „Die Mafia in Deutschland - Kronzeugin Maria G. Packt aus“. Ihr zur Seite stand die Wissenschaftlerin Zora Hause, 31. Sie hat bereits zu den Themen innere und internationale Sicherheit bei der NATO-Stiftung und im italienischen Verteidigungsministerium gearbeitet. Derzeit forscht sie am Extra-Legal-Governance Institut der Universität Oxford im Rahmen ihrer Doktorarbeit über das organisierte Verbrechen. Ihr Schwerpunkt ist die ‘Ndrangheta in Deutschland.

 

Fakten statt Alarmismus

Die Herangehensweise der beiden Expertinnen sollte schnell klar werden. Aus ihrer Sicht existierten oft nur zwei Wege, über die Mafia zu sprechen: Verniedlichung oder Alarmismus. Sie wählten einen dritten: eine nüchterne, faktenbasierte Herangehensweise. Ihr Vortrag speiste sich aus den Erkenntnissen ihrer langjährigen Recherchen.

Sie begannen allgemein mit den Besonderheiten der ‘Ndrangheta. Wo kommt sie her, wie arbeitet sie, was unterscheidet sie von anderen Mafiaorganisationen? So erfuhr das Publikum, dass die Regeln der ’Ndrangheta bereits seit über 150 Jahren existieren und noch heute angewendet werden. Dass die Organisation auf Blutsverwandtschaft setzt. Und dass sie einen Jahresumsatz von über 50 Milliarden Euro macht – in etwa so viel wie der Autohersteller Audi. Bei dieser Zahl ging ein Raunen durchs Publikum.

Vom Allgemeinen arbeiteten sich die Expertinnen zum Speziellen vor. Zora Hauser erklärte, dass die Mafia in Deutschland anders als in Italien auf Gewalt verzichte, um in Ruhe ihre Geschäfte zu machen – die Morde von Duisburg 2006 etwa seien als Fehler großer erkannt worden. Wie die Mafia mittels Erpressung, etwa über Weinlieferungen, Restaurantbesitzer zur Geldwäsche zwingt. Dass sie sich vorrangig auf italienische Opfer konzentriere, weil diese sich an die Regeln der ‘Ndrangheta hielten. Dass in Ausnahmefällen aber auch deutsche Geschäftsleute zu Opfern werden können.

Margherita Bettoni zeigte anhand einer Karte, wie sich die ‚Ndrangheta in Deutschland bereits verbreitet hat, und betonte, dass wir es hierzulande mit einer bürgerlichen Mafia zu tun haben. Einer, die bewusst die Nähe zu einflussreichen Akteuren wie Politikern sucht. Oft funktioniere dies besonders gut über Restaurants. Sie legte dar, warum sie die gängige Theorie, Deutschland sei ein reiner Rückzugsraum für die Mafia, für zweifelhaft hält. „Spätestens seit den 1980er Jahren ist Deutschland ein Aktionsraum für die Mafia“.


Die Sprache der Mafia

Beide Expertinnen unterstrichen ihre Aussagen immer wieder mit Zitaten aus Gerichtsakten und Protokollen von abgehörten Gesprächen. So bekam das Publikum auch einen Einblick in die Sprache der Mafia. „Melsungen muss wie eine Kirche bleiben“, sagt da etwa ein einflussreicher mutmaßlicher Mafioso zum anderen. Auf deutsch: Finger weg von der hessischen Kleinstadt Melsungen, dort dürfe es auf keinen Fall aufsehenerregende Aktionen geben.

Am Ende wurde es dann aber doch noch einmal emotionaler. Bettoni erzählte die Geschichte der Kronzeugin Maria, die sie für ihr Buch länger begleitet hat. Es ist eine Geschichte voller Leid und Gewalt, die Maria schließlich zur Kronzeugin werden ließ. Mit ihren vier Kindern landete Maria schließlich in Deutschland, wo sie zeitweise unter Zeugenschutz lebte.

So wundert es nicht, dass sich die Fragen des Publikums nach dem rund einstündigen Vortrag auch immer wieder um das Thema Angst drehten. Sie können das Risiko gut ausblenden, meinten Hauser und Bettoni. Man denke ja im Auto auch nicht ständig daran, dass man theoretisch jederzeit bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommen könnte. Schließlich ging es auch noch darum, wie man als Bürger mafiöse Geschäfte erkennen könne. Das sei schwer, erwiderte Hauser, immerhin sei es ja schon für die Polizei eine große Herausforderung, die Machenschaften der ‘Ndrangheta zu durchdringen. Und so gab es auch noch Gelegenheit für einen wichtigen Schlussappell an alle Hobby-Ermittler: „Nicht jeder Italiener ist automatisch ein Mafioso“, sagte Bettoni. „Ich bin ja selbst Italienerin“.


Unsere Referentinnen


Margherita Bettoni ist freie Journalistin mit Schwerpunkt investigative Recherche. 

Sie ist in Italien geboren und aufgewachsen. Ihre journalistische Ausbildung hat sie auf die Deutsche Journalistenschule in München absolviert. 

Seit 2014 recherchiert sie über die italienische Mafia in Deutschland und hat an mehreren grenzüberschreitenden Recherchen in internationalen Teams mitgearbeitet. Sie ist Mitautorin des Buches "Die Mafia in Deutschland. Kronzeugin Maria G. packt aus" über das Leben einer Kronzeugin der kalabrischen 'Ndrangheta.

Ihr Rechercheschwerpunkt liegt außerdem auf Menschenrechtsverletzungen, Rüstungsexporte und der Türkei. 2017 hat sie für das Recherchezentrum Correctiv.org das deutsch-türkische, journalistische Projekt "ÖZGÜRÜZ" mit aufgebaut und die Pläne des deutschen Rüstungskonzern Rheinmetall für eine Panzerfabrik in der Türkei aufgedeckt. 

Ihre investigativen Recherchen sind unter anderem bei im Stern, im Spiegel und bei theblacksea.eu erschienen.




Zora Hauser ist Forscherin am Extra-Legal-Governance Institut der Universität Oxford, wo sie über die transnationale Dimension des organisierten Verbrechens mit Schwerpunkt auf der kalabrischen ‘Ndrangheta in Deutschland promoviert.

Frau Hauser hat zu den Themen innere und internationale Sicherheit bei der NATO-Stiftung und im italienischen Verteidigungsministerium sowie im Privatsektor gearbeitet.

Sie spricht fließend Italienisch, Deutsch und Englisch und hat in der Türkei, Italien, Deutschland, der Schweiz und Großbritannien gelebt, gearbeitet und/oder studiert.